Du kommst zu einem Notfall und willst helfen - aber Du hast deine Kinder dabei...

Ein Leatherman eignet sich bestens um kleine Reparaturen unterwegs im Hotelzimmer durchzuführen. Aber als "Tactical-Dad" muss ich mir natürlich um einiges mehr Gedanken machen.

Ich hatte es mich so oft gefragt wie es sein wird wenn ich mit den Kindern zu einem Notfall komme. Vielleicht würde ich nicht helfen können, weil ich meine eigenen Kinder dadurch in Gefahr bringen würde? Wie könnte ich meine Kinder vor dem Anblick von Verletzten oder gar Toten bewahren? Schließlich passierten mir dauernd komische Dinge. Und da ich oft mit meinen Kindern unterwegs bin musste ich mich gedanklich damit auseinandersetzen. Ich machte mir viele Gedanken dazu, aber es kam nichts dabei heraus was mir nützlich erschien, oder was sich für den Blog eignete. Denn eigentlich wollte ich genau zu dem Thema schon eine ganze Weile etwas schreiben. Aber wie sollte ich vorab über die Abwägung von Menschenleben reden oder dazu eine Meinung haben? Es kam eigentlich nur eine vorab erstellte Taktik dabei heraus: Ich würde meine Kinder entweder einfach im Auto sitzen lassen um zu helfen, oder ich würde sie dem nächstbesten Passanten an die Hand geben. Natürlich nur, wenn sie dabei nicht in Gefahr waren. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es irgendwann passieren würde und eigentlich dachte ich, dass es bei einem Verkehrsunfall passieren wird. Aber es kam anders....

 

Wir besuchten einen Freund in einer anderen Stadt und machten mit ihm einen Spaziergang an einem Hafen. Was für ein Glück es war, dass dieser alte Gefährte uns begleitete... Wir hatten bereits einiges zusammen erlebt. Schlägereien auf Streife, Jagd auf Wilderer im dunklen Wald, private Umzüge, gegenseitiges Babysitten während Gerichtsverhandlungen usw... Halt alles das was gute Freunde so miteinander durchmachen ;-). Das Wetter hätte besser nicht sein können und wir schlenderten neben dem Yachthafen entlang. Dann krachte es und wenige Meter neben uns explodierte das Verdeck einer 10m Yacht und sie trieb durch das Hafenbecken. An Bord war eine Familie mit Kindern und in Sekunden schoss der Rauch aus dem Heck. Wir zögerten zwei Sekunden und schauten uns vielsagend an. Wir überlegten ob das schon alles gewesen war, oder ob es jetzt erst los geht und noch mehr explodiert. Ich griff meine Kinder an den Händen und zog sie weiter. Ich wollte sie so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich bringen. Nach weiteren 5 Sekunden nickten wir uns zu und mein Freund rief den Notruf. Was wir erst später erfuhren war, dass wenige Sekunden und wenige hundert Meter weiter ein Personenschutzkommando des LKA in Aufregung geriet, aufgrund dieser Explosionsmeldung. Sie waren mit ihrer Schutzperson ganz in unserer Nähe.

Alle sind in Sicherheit und wir warten auf die Feuerwehr.... Sie schafften es die Yacht zu löschen bevor die Gasflaschen und die hunderten Liter Benzin an Bord auch noch explodierten.
Alle sind in Sicherheit und wir warten auf die Feuerwehr.... Sie schafften es die Yacht zu löschen bevor die Gasflaschen und die hunderten Liter Benzin an Bord auch noch explodierten.

 Das was mein Freund jetzt tat will ich hier nicht näher ausführen. Aber er hat mit seinem Handeln den Menschen auf der Yacht das Leben gerettet. Für mich war das jetzt der Moment über den sich niemand gerne Gedanken macht und über den man eigentlich noch viel weniger sprechen möchte. Aber es ist passiert, ich habe mir diese Situation weder ausgesucht, noch ausgedacht. Und warum sollte ich nicht offen darüber sprechen? Das Leben fremder Menschen spielte für mich in diesem Moment eine zweitrangige Rolle. Es war mir nicht egal in welcher Gefahr sie sich befanden, …. aber es ging um das Leben meiner Kinder und das ist mir schlichtweg wichtiger. Und dass ich erst sie aus dem Gefahrenbereich bringe war das Einzige was in diesen Sekunden für mich zählte. Meine Kindern brachte ich neben einen Baum und wies sie an zu warten und sich nicht von der Stelle zu rühren. Warum ich keinen Passanten beauftragt habe auf sie aufzupassen weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich schlichtweg nicht mehr daran. Ich habe aber etwas anderes gemacht, was ich von meinem Jagdausbilder in Bezug auf Hunde gelernt hatte. Wenn man seinen Hund an einem Platz warten lässt legt man seinen Rucksack neben ihn, so hat er einen Bezug zu dem Platz. Es ist zwar schon irgendwie verwerflich wenn man Techniken der Hundeausbildung bei seinen Kindern anwendet. Und vermutlich sollte ich davon auch gar nicht öffentlich erzählen.... Aber auch in der Vergangenheit habe ich das mit dem Rucksack bei ihnen öfter gemacht. Es macht Sinn und hat sich bewährt. So haben sie eine Aufgabe (auf den Rucksack aufpassen) wenn ich kurz z.B. im Einkaufszentrum auf das Klo gehe oder an einem Schalter eine Fahrkarte kaufe usw. Jeder wird nun auch sehen, dass das Kind in Begleitung ist und jeden Moment mit meiner Rückkehr zu rechnen ist. Und auch wenn ein Fremder versucht das Kind weg zu locken, ist so ein Faktor mehr da, der das Kind davon abhält mitzugehen.

 

Meine Kinder waren nun einigermaßen in Sicherheit und ich rannte zurück zu dem massiv rauchenden Schiff und konnte endlich auch helfen. Auf dem Boden lag eine Frau, es war die Mutter der Familie. Sie war in Panik über die Reling gesprungen und hatte sich dabei das Knie verletzt. Ihre Kniescheibe hing seitlich weg und sie konnte nicht mehr stehen. Eine Passantin hatte irgendwie nicht verstanden, dass sich jeder neben dem Schiff in Lebensgefahr befindet und wollte die Verletzte dort liegen lassen bis der Rettungsdienst da ist. Ich ignorierte sie, sagte zu der Verletzten „beißen Sie die Zähne zusammen, jetzt tuts weh“ und gemeinsam mit zwei Passanten trugen wir sie weg. Sekunden später schossen die Flammen aus dem Schiff und es stand im Vollbrand. Wir erfuhren erst später, dass sich an Bord der brennenden Yacht noch hunderte Liter Benzin und volle Gasflaschen befanden. Aber zum Glück war die Feuerwehr sehr schnell da und löschte den Brand. Aber alles war sehr knapp, denn von der Yacht war zum Schluss nicht viel mehr übrig außer einem haufen verschmorten GFK.

 

Wir trugen die Verletzte direkt zu meinen Kindern. Sie hielten sich im Arm und weinten. Durch die Explosion, das Geschrei, die Rennerei und die Verletzte, die vor ihnen am Boden lag, war ihnen klar, dass gerade etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Aber sie gehorchten, handelten sinnvoll und halfen ungefragt. Ich war später sehr stolz auf sie. Sie konnten besser mit der Situation umgehen wie manch ein Erwachsener dort. Da sich die anderen Passanten weiter um die Frau kümmerten konnte ich mich meinen Kindern zuwenden. Als die Rettungskräfte eintrafen musste ich aber mehrmals wieder  weg um sie in die Lage einzuweisen, das bemerkte zum Glück ein junger Mann und betreute ungefragt meine Kinder. Er merkte, dass ich in einer blöden Situation war und meine Kinder ziemlich durch den Wind waren. Aber auch hier habe ich niemanden gebeten auf die Kinder aufzupassen, warum weiß ich nicht, denn das wäre das einzig Sinnvolle gewesen. Ich schließe daraus, dass mich die Situation schlichtweg überfordert hat.

Es wurde dabei ein weiterer Faktor wichtig, den ich bereits ganz oben kurz erwähnt habe. Ich will meine Kinder nicht nur körperlich, sondern auch vor traumatischen Erinnerungen schützen. Da die Bootsbesitzer sehr viel Glück hatten, hatten meine Kinder auch Glück. Denn sie mussten weder mit dem Anblick von Schwerverletzten, noch dem von Toten, umgehen. Die Kinder mussten dennoch mit dem Erlebten zurechtkommen, und es war in meiner Verantwortung ihnen dabei zu helfen. Dabei war es vor allem schwierig die richtigen Worte zu finden und die Dinge richtig zu erklären. Kinder sind nicht blöd und sie wollen Antworten auf ihre Fragen. In ähnlichen Situationen wollte ich mich schon oft vor den Antworten drücken. Ein "das ist schwierig zu erklären" oder "das erkläre ich dir wenn Du größer bist" kommt einem dabei viel zu schnell über die Lippen. Kinder geben sich mit so einer Antwort meist auch zufrieden, aber so machen sie sich ihre eigenen Gedanken. Also sollten wir uns überwinden und ihnen lieber ehrlich ihre Fragen über den Tod, über Gewalt, das seltsame Verhalten von Geisteskranken usw. beantworten. Keine Eltern fangen derartige Themen an, aber wenn die Fragen von den Kindern kommen, kann ein Ausweichen nur falsch sein. Auch wenn man den Kindern erklärt, dass sie etwas „schlimmes erlebt“ haben ist das mit Sicherheit ein Fehler. Und ich bin mir sicher, dass viele Erwachsene so etwas machen, ohne dass die Kinder überhaupt traumatisiert sind. Wenn wir den Kindern erklären dass sie jetzt „traumatisiert“ sind, werden sie dies als das vorgesehene Verhalten ansehen und dem auch entsprechen wollen. Vermutlich macht man damit den größtmöglichen Fehler. Einen ähnlichen Unsinn hört man auch immer im Zusammenhang mit Vergewaltigungsopfern („..jetzt ist Dein ganzes Leben zerstört...“).

 

Als aller Erstes haben wir den Kindern die Arbeit der Einsatzkräfte erklärt. Denn nur wenn man etwas versteht merkt man, dass man keine Angst davor haben muss. Als nächstes haben wir den Kindern gezeigt, dass alles normal weiter geht und wir sind unserer Tagesplanung nachgegangen. Dabei wurden die Kinder auch etwas abgelenkt, denn wir hatten sowieso einen Ausflug zu einer Attraktion für Kinder geplant. Den restlichen Tag redeten wir viel über das Erlebte und wir versuchten auch darauf hinzuwirken, dass sie Anderen davon erzählten. Das Sprechen ist ja, wie wir alle Wissen, einer der wichtigsten Faktoren im Umgang mit traumatischen Erlebnissen. Ich bin mir inzwischen sicher, dass dieses Erlebnis keinerlei negative Auswirkungen auf ihre Psyche haben wird und sie mit allem umgehen konnten. In wie weit das durch ihren Charakter oder auf unseren Umgang damit zurück zu führen ist kann ich überhaupt nicht sagen. Ich bin froh, dass wir alles mit der erlebten Explosion gut hinter uns gebracht haben. Ich vermute, dass sowohl wir, wie auch meinen Kindern, nun noch besser für Ähnliches vorbereitet sind.

 

Ein kleines Erlebnis das dazu passt:

Vor ein paar Jahren bin ich nachts zu einem Wildunfall auf einer kleineren Bundesstraße gekommen. Die Kinder haben hinten im Auto geschlafen. Ich habe das Auto so weit wie möglich am Straßenrand geparkt, den Warnblinker eingeschaltet und eine Warnweste angezogen. Was ich damals aber erst auf den Hinweis eines später eintreffenden Kollegen gemacht habe war, dass ich mein Auto, mit den Kindern drin, von der Straße runter gefahren habe. Ich habe von mir aus nicht daran gedacht, dass ich sie wenige Meter weiter ganz aus dem Gefahrenbereich raus bringen kann. Ich ärgerte mich damals natürlich über meine Nachlässigkeit. Erst etwas später wurde mir bewusst, wie schwer es ist einen „Einsatz“ abzuarbeiten und sich gleichzeitig um seine Kinder zu kümmern.

 

 

Ein Menschenleben retten:

Ich will Euch hier auch noch von etwas Anderem erzählen, etwas mit dem ich an diesem Tag nur wenig zu tun hatte. Dem Retten eines Menschenlebens. Die wirklich relevante Geschichte von diesem Tag müsste man eigentlich über meinen Freund erzählen. Er hat unter größter Lebensgefahr die Familie von der Yacht gerettet. Da so etwas nicht alltäglich ist haben viele davon eine Vorstellung die durch Kinofilme geprägt ist. Die übliche Vorstellung davon ist, dass der Gerettete dafür auf ewig dankbar ist. Die Realität ist aber eine völlig Andere. Normalerweise hört man nie wieder etwas von diesen Menschen. Das kommt vermutlich daher, dass der Umgang mit so etwas auch für den Geretteten nicht einfach ist. Wie soll er sich bedanken? Vielleicht mit einer Flasche Wein? Aber damit würde er ja irgendwie zeigen, dass sein Leben ihm nur eine Flasche Wein wert ist....Vielleicht hat es auch mit Scham zu tun, weil derjenige selber Hilfe gebraucht hat und damit evtl. nicht umgehen kann? Was es auch immer der Grund dafür war, es war wie immer und wir hörten nie wieder etwas von dieser Familie. Von einem anderen und ähnlichen Fall erzähle ich bei "Brandschutz". Das dies so ist hat mir bereits in meiner Jugend ein älterer Freund erzählt. Er hat in vielen Kriegen gekämpft und sehr viel "Erfahrung" mit dem Leben und Sterben gehabt. Ich hatte es ihm damals aber noch nicht geglaubt.

 

Mein Fazit:

Ich war überfordert und habe nicht in dem Maße für meine Kinder gesorgt wie ich es gewollt hätte. Das zeigt mir zum einen wie wichtig es ist sich vorher Gedanken über so etwas zu machen und zum anderen, dass man vermutlich nie in der Lage ist in einem echten Notfall alles richtig zu machen. Als "Einsatzkraft" ist man es gewohnt, nicht nur auf sich, sondern auch auf andere Personen aufzupassen. Die eigenen Kinder sind dabei ein erheblicher Faktor der die erlernten Handlungsoptionen und Taktiken fast schon unmöglich macht.

 

Sonstige Gedanken dazu:

Das was Ihr in einem Notfall empfindet und ausstrahlt überträgt sich auf eure Kinder. Bleibt so ruhig wie möglich, damit es eure Kinder auch sind. Ein dazu passendes Zitat habe ich im Buch "Feuerwehr Grundlehrgang" 11. Auflage gelesen: "Angst und Schrecken sind ansteckend - Mut, Tapferkeit und Entschlossenheit, aber auch".

Warnwesten sind auf einer dunklen Straße eine Art Lebensversicherung und sie werden immer in ihrer Bedeutung unterschätzt!

Wenn Ihr auf der Autobahn eine Panne habt müssen die Kinder so schnell wie möglich aus dem Auto raus und hinter die Leitplanke. Auf dem Seitenstreifen einer Autobahn stirbt es sich sehr leicht!

Das Video passt sehr gut zum Thema. Ein Vater hat seine Kinder dabei, wird Zeuge einer Gewalttat und will helfen. Man sollte sich sein Verhalten anschauen, sich Gedanken dazu machen, aber ganz sicher nicht urteilen, denn er ist in einer wirklich blöden Situation:

 

https://www.youtube.com/watch?v=eoEi2qJ-UXM